Xingyi Bagua – eine Hoch – Zeit der Kampfkünste
Es gibt viele Spezialitäten der inneren Kampfkünste wie Xingyiquan, Baguazhang, Taijiquan, oder Xingyi- Bagua und noch weitere, die für uns bereit stehen oder auf uns warten.
Im vorliegenden Text freue ich mich darüber, Euch das Xingyi Bagua näher zu bringen und eine kleinen Ausflug in die Geschichte zu unternehmen.
Alle Kampfkünste bieten ihre eigene Interpretation an, haben ihren langen Weg bis in die heutige Zeit geschafft und wurden bearbeitet und verbessert. Manche Kampfkünste oder Formen wurden auch „verschlimmbessert“ bis sie wieder in die richtigen Hände geraten sind und „gerade“ gerückt wurden. In einigen hundert Jahren kann viel passieren. Das Wichtigste ist jedoch, dass sie erhalten bleiben und sich immer wieder Menschen finden, die ihre Freude daran haben, diese nicht immer populären Künste zu pflegen und weiter zu tragen.
Im alten China wurden die Inneren Kampfkünste zur Selbstkultivierung aber auch zur Verteidigung von Leib und Leben erlernt. Immerhin herrschte häufig große Not und sich und seine Familie zu verteidigen war existenziell. Einen guten Lehrer zu finden war sicherlich nicht einfach und je ausgefeilter die Kampfkunst, um so schwieriger war es, als Schüler angenommen zu werden.Also wurden die zu übertragenden und bereits erprobten Kampfkünste nur an ausgewählte Schüler weitergereicht, um den Schatz und ihren Wert zu bewahren. War die erlernte Kampfkunst gut und wurde die Gesundheit gepflegt, war das Leben umso sicherer.
Das Xingyiquan war für seine große Kraft berühmt, während das Baguazhang für die ausgefeilte Beinarbeit und die flinken Handbewegungen stand.
Es ist geschichtlich überliefert, dass sich zwei Meister dieser Kampfkünste trafen und es zu einem Vergleichskampf kam. Der Baguazhang Meister war Dong Haichuan (董海川, 1797-1882) und der Xingyiquan Meister war Guo Yunshen (郭云深, 1820-1900). Der Erzählung nach dauerte dieser Kampf mehrere Tage und man entschied sich, den Kampf als unentschieden zu bewerten. Beide Meister wollten ganz im daoistischen Geiste voneinander lernen. So entstand die Idee, aus beiden Kampfkünsten und deren Vorteilen eine neue Form zu kreieren. Da beide Adepten ein sehr hohes Niveau und tiefes Verständnis der Kampfkünste hatten gingen sie sehr sorgfältig vor, und aus dieser Arbeit entstand das Xingyi- Bagua. Das Ansehen vom Xingyi Bagua verbreitete sich schnell und es hieß, wer diese Form beherrschte dem sind nicht so einfach die Kirschen wegzunehmen.
Es ist eine Form, die noch vor wenigen Jahren nur sehr zögerlich verbreitet und unterrichtet wurde. Selbst in China gibt es relativ wenige Kampfkunst- Enthusiasten, die diese Fusion der beiden Künste praktizieren. Insgesamt ist es also ein sehr kleiner Kreis von Praktizierenden in China wie auch außerhalb Chinas.
Diese Form beinhaltet so viele anwendungsbetonte wie auch Yangsheng – (Lebenspflege) Inhalte, dass es schwer fällt, die Tiefe vollständig zu erfassen. Hier zeigt sich der kreative Umgang mit der Kampfkunst in einer übertragenen Dao Linie. Eine Vielzahl von Aspekten und Spezialitäten aus zwei traditionellen Kampfkünsten in einer Form unterzubringen, ist hier wirklich als eine Hoch- Zeit zweier Kampfkünste zu verstehen.
Das Xingyi Bagua wird an einem Kreis, der proportional zur Körperlänge angelegt ist, praktiziert und besteht aus acht Tier Formen die den spezifischen Charakter des jeweiligen Tieres wiedergeben. Es finden sich die spezielle Schrittarbeit des Baguazhang, aber auch die explosiven Bewegungen des Xingyiquan wieder.
Jede Bewegungssequenz wird in zwei Richtungen praktiziert, das heißt, jeweils im und gegen den Uhrzeigersinn.
Diese Vorgehensweise wirkt insbesondere in den neuralen Verbindungen der beiden Großhirnhälften und erzeugen nach entsprechender Übungspraxis ein besonderes Körpergefühl und auch Körperverständnis.
Die Bewegungsmuster, die sich dabei langsam offenbaren, zeugen von den vielen feinen Puzzle Teilen des Xingyi wie denen des Bagua. Die Tiercharakteristika unterstreichen die natürlichen Bewegungsabläufe der acht Kreisformen.
- Die Schwalbe, die leicht und pfeilschnell durch die Luft schießt und dabei zielsicher ihr Ziel findet.
- Der Adler, der mit seinen Schwingen kräftige Schläge landet.
- Der Bär, der gemütlich mit seiner Körperkraft Bäume entwurzelt.
- Der Affe, der geschwind, verspielt und trickreich seine Bewegungen einsetzt.
- Der Drache, der oben, unten, überall mit großen mächtigen Bewegungen erscheint.
- Die Schlange, die grundsätzlich mit dem Baguazhang assoziiert wird, ist schnell und wendig.
- Der Tiger, der mit seiner Kraft nahezu verschwenderisch umgeht.
- Das Pferd, welches mit seinen Hufen nach allen Seiten ausschlägt.
Die Charakteristika der Tiere – verbunden mit deren Kraft und Energie – sowie die ausgefeilte Rhythmik der Form – machen das Xingyi Bagua zu etwas Besonderem undmzu einem Kleinod der inneren Kampfkünste.
Meister Tian Liyang hat diese Form lange in seiner Schatzkiste unter Verschluss gehalten und sie erst 2006 geöffnet. Ich bin sehr dankbar und glücklich darüber, dass ich diese Form von ihm persönlich in seiner Schule in Wudangshan lernen durfte. Dass er sie zunächst einer „Langnase“ beigebracht hat und sie später auch öffentlich unterrichtet hat, zeigt seinen offenen Geist und auch letztendlich die Öffnung der daoistischen Kampfkünste gegenüber der westlichen Welt. Dieser zähe Übergang aus dem tradiertem Umgang der Übertragung der Künste bis zum öffentlichen Unterrichten hat naturgemäß einige Unwägbarkeiten zu überwinden. Zum einen den oft zu kleinen Kreis, der die Tradition weiter tragen sollte und das Verwässern der Methoden. Beides ist im Wandel der Zeit als natürlich anzunehmen, aber man sollte versuchen Verfälschungen entgegenzuwirken.
Der Wudangshan – Weltkulturerbe der UNESCO – mit all seinen Tempeln und Geheimnissen offenbart immer mehr wertvolles altes Wissen und die uralte Philosophie von Yin und Yang in Bewegung. Das Wudangpai mit seinen Kampfkünsten ist eine Hinterlassenschaft der alten Daoisten an uns. Wir Kampfkünstler – im Geiste verbunden mit dem Dao haben ein wunderbares Geschenk erhalten – lasst es uns annehmen und verteilen!
Aus dem Zhang Sanfeng Wuguan Mülheim an der Ruhr
Jo Wei He 16. Generation Wudang Pai
Sommer 2017